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Die Ganztagsschule ist ein Januskopf

Ein Autorenteam der Internationalen Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie (INA) an der Freien Universität Berlin, bestehend aus den Erziehungswissenschaftlern Ludger Pesch, Dr. Christa Preissing und Prof. Dr. Jörg Ramseger, erstellt derzeit das "Berliner Bildungsprogramm für die offene Ganztagsgrundschule". Es soll im Winter 2007/2008 in der Endfassung vorliegen. Mit dem Programm, das in einem öffentlichen Dialog entsteht, soll den Ganztagsgrundschulen ein pädagogischer Leitfaden an die Hand gegeben werden. Im Interview erläutert Prof. Dr. Ramseger seine Sicht der Ganztagsschulentwicklung in Deutschland.

Online-Redaktion: Prof. Ramseger, seit wann ist Ihnen das Wort Ganztagsschule präsent?

Jörg Ramseger: Mir ist dieser Begriff seit 1978 geläufig. Damals wirkte ich in einer Initiative zur Gründung einer Ganztagsgrundschule in Münster-Gievenbeck mit, die später zu einem BLK-Modellprojekt unter der Leitung von Prof. Dietrich Benner an der Universität Münster wurde, das ich bis 1983 wissenschaftlich begleitet habe. Das Grundschulprojekt Gievenbeck entstand in einem sehr schwierigen Umfeld, als Ganztagsschulen noch unter dem Generalverdacht standen, den Familien die Kinder wegzunehmen. Dieser damals interessante Versuch ist bis zum heutigen Tag lebendig und hat meiner Meinung nach eine der schönsten Grundschulen Deutschlands hervorgebracht.

Online-Redaktion: Verband sich damals mit der Ganztagsschule bereits eine andere Pädagogik?

Ramseger: Die Wartburgschule in Münster-Gievenbeck hatte bereits damals einen Anspruch, der noch heute in vielen Ganztagsschulprogrammen zu kurz kommt: die Verbindung von Schul- und Sozialpädagogik. Die öffentlich gebrauchten Argumente zu Gunsten der Ganztagsschule haben sich seit damals leider kaum verändert: Es handelt sich dabei nicht primär um pädagogische, sondern um sozialpolitische Argumente, allen voran das Argument der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dem die Ganztagsschule primär dienen soll. Dies ist allerdings eher ein Argument für die Arbeit von Eltern, weniger eines für die gute Betreuung von Kindern. Das zweite Argument, das immer gleichrangig vorgetragen wird, ist das der Kompensationsmöglichkeiten für Kinder: Man erhofft sich von der Ganztagsschule, mehr Kindern bessere Chancen zu bieten. Auch dieses Argument, das ich übrigens für unbewiesen halte, fragt indes nicht, ob es den Kindern denn wirklich gut tut, den ganzen Tag in der Schule zu verbringen. Im Gegensatz zu diesen Argumenten würde eine pädagogische Motivationslinie primär danach fragen, wie denn pädagogische Einrichtungen aussehen müssten, damit man sie den Kindern einen ganzen Tag lang zumuten kann. Diese ganz anders akzentuierte Frage - die Frage nach der Qualität unserer Ganztagseinrichtungen - steht in der öffentlichen Debatte bis zum heutigen Tage viel zu selten im Vordergrund. Und genau da setzt unser Bildungsprogramm an.

Online-Redaktion: Müsste der Öffentlichkeit klarer gesagt werden, dass das derzeitige Halbtagsschulsystem viel Energie kostet, Frust produziert, aber nicht die gewünschten Ergebnisse erbringt und dass die Ganztagsschule die bessere Alternative ist?

Ramseger: Als 2001 die PISA-Ergebnisse in der Berliner Landesvertretung Baden-Württembergs unter der Leitung der damaligen KMK-Vorsitzenden Annette Schavan veröffentlicht wurden, fragte am Ende eine Journalistin die Ministerin, was sie denn vom Investitionsprogramm der damaligen Bundesregierung zum Aufbau von mehr Ganztagsschulen halte. Die Ministerin antwortete damals: "Uns haben gerade zweieinhalb Stunden lang Wissenschaftler bescheinigt, dass wir nur mittelmäßige Schulen haben. Verlängern wir diese in den ganzen Tag, haben wir den ganzen Tag mittelmäßige Schulen." Dieses Argument ist vollkommen richtig.

Auch ich habe schon vor 17 Jahren gemeinsam mit Prof. Ursula Neumann von der Universität Hamburg in einem Ganztagsschulgutachten für die damalige Hamburger Schulsenatorin den Standpunkt vertreten: "Einen ganztägigen Aufenthalt sollte man den Kindern nur in den besten Schulen des Landes zumuten." Daran halte ich fest. Die Schule an sich ist keine gutartige Institution, und die bisherige Kombination von Halbtagsschule und nachmittäglicher Hortbetreuung wie in Berlin war nicht die schlechteste, denn sie bewirkte einen Wechsel im Tagesablauf der Kinder.

Ein populärer Grafitto-Spruch lautet: "Alles was Schule anfasst, wird zu Schule". Wenn die Schule nun auch den Nachmittag der Kinder okkupiert, verändert sie deren Lebenswirklichkeit. Das will sehr sorgfältig überlegt und geplant sein. An vielen Orten der Republik mangelt es an dieser Sorgfalt, man hat die Mittel aus dem Bundesprogramm vor Augen und will "mal eben schnell" eine Ganztagsschule einrichten. Ganztagsschulen sind meines Erachtens nur dort zu befürworten, wo sich Schulen aus eigenem Antrieb weiterentwickeln wollen und dafür gute Ideen haben. Wichtig ist auch der Anspruch, die Schule zu "entschulen" - den Kindern also Autonomieräume zu gewähren, die sie bislang in Schulen nicht vorfinden.

Online-Redaktion: Bietet die Ganztagsschule auch Möglichkeiten, nichtcurriculare Themen wie Gesundheit, Liebe, Sexualität und Geld zu behandeln - Themen, die das Leben prägen, aber im klassischen Unterricht kaum Platz finden?

Ramseger: Die Ganztagsschule ist ein Januskopf, sie hat fast immer zwei Gesichter. Es besteht das große Risiko, dass man durch sie die Autonomieentwicklung der Kinder einschränkt, indem man diese den ganzen Tag unter pädagogischer Aufsicht hält. Dadurch können die Schülerinnen und Schüler in eine Abhängigkeit von Anleitung, Überwachung und Beaufsichtigung geraten, die einer selbstständigen Entwicklung junger Menschen diametral entgegensteht. Auf der anderen Seite wissen wir, dass heute in vielen Elternhäusern Vorbilder an Zuverlässigkeit, Wärme, Liebe, Zuneigung fehlen und dort keine Bildungsangebote in dem Maße bereit gestellt werden, wie junge Menschen sie benötigen. Deshalb kann Ganztagsschule eine Chance sein. Aber dann muss sie eine ganztägig andere Schule als die bisherige sein.

Online-Redaktion: Wie "anders" müssen Ganztagsschulen denn sein?

Ramseger: Alle berühmten Reformschulen sind Ganztagsschulen, was kein Zufall ist. Denn diese Schulen denken die Entwicklung von Kindern ganzheitlich und machen sich Gedanken, wie sie Kindern auch anders als im Unterricht begegnen können. Dort weiß man, dass sich Bildung nicht in Curricula erschöpft, sondern Unterricht ein Bestandteil von Bildung ist. Für die Selbstbildung von Individuen ist es bedeutsam, dass sie viel mehr Gelegenheiten und Chancen zu Auseinandersetzungen, Eigenaktivitäten und produktivem Handeln erhalten, als es eine Halbtagsschule ermöglichen kann. Hier liegt die große Chance der Ganztagsschule, die sich nur realisieren lässt, wenn ihr ein sorgfältig durchdachtes Konzept zu Grunde liegt und ihr von den Trägern die Freiheit dazu eingeräumt wird.

Online-Redaktion: Wer wäre in der Lage, eine Diskussion über diese Ganztagsschulpädagogik anzustoßen?

Ramseger: Ich sehe da die Politik auf Landes-, aber auch auf Bundesebene in der Verantwortung. Den manchmal vorgebrachten Einwand, Eltern wollten die Ganztagsschule nicht, weil sie eine Verstaatlichung ihrer Kinder fürchten, teile ich nicht. Eltern haben Angst vor schlechter Ganztagsschule. Bei Ganztagsschulen, die durch ihre pädagogische Konzeption und eine besondere Fürsorge für das Kind überzeugen, stehen die Eltern Schlange. Diese Schulen können sich vor Anmeldungen kaum retten. Die Qualitätsdebatte, die Frage nach den angemessenen Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen, muss von der Bildungspolitik öffentlich betrieben werden. Das ist nicht primär eine Frage des Geldes - obwohl mehr Geld für die Schulen wichtig ist -, sondern eine Frage der Einstellung der Öffentlichkeit, der Politik und der Schulen zu den Kindern in dieser Gesellschaft. Und es ist die Frage der Freiheit und der Autonomie, die man den Einrichtungen gewährt oder vorenthält, selber eine vernünftige Pädagogik zu entwickeln.

Online-Redaktion: Eine größere Schulautonomie ist für Sie also eine Voraussetzung für eine gute Ganztagsschulpädagogik?

Ramseger: Das ist eine ganz entscheidende Frage für die Entwicklung in Deutschland. Verglichen mit anderen Nationen haben wir da einen unglaublichen Nachholbedarf.

Online-Redaktion: Welche Maßnahmen sind notwendig, um Ganztagsschulen erfolgreich im deutschen Schulsystem zu verankern?

Ramseger: Einerseits sollte die Ganztagsschule freiwillig bleiben, andererseits aber mit Anreizen gefördert werden. Der Anreiz des Vier-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" ist von manchen Bundesländern kritisiert worden, weil sie damit zwar die Baumaßnahmen finanzieren können, die langfristigen Personalkosten aber aus verfassungsrechtlichen Gründen alleine schultern müssen. Trotzdem hat es gewirkt - es entstehen überall neue Ganztagsschulen. Langfristig würde ich allerdings eher die Qualität freiwillig entstandener Ganztagsschulen unterstützen, um dann auf eine Sogwirkung der guten Beispiele zu setzen. Jede Verordnung eines Ganztagsschulsystems halte ich für riskant, wenn die Pädagoginnen und Pädagogen nicht zugleich ein überzeugendes Unterstützungssystem für die Schulqualitätsentwicklung zur Verfügung gestellt bekommen. Das ist ebenso wichtig wie das Raumprogramm - wobei die meisten Schulbauten von ihrer Raumstruktur für eine ganztägige Bildung ohnedies kaum geeignet sind.

Online-Redaktion: Pädagogen und Wissenschaftler sprechen sich für das gebundene Ganztagsmodell aus. Wie ist Ihre Position dazu?

Ramseger: Ich bin für Vielfalt und Wahlmöglichkeiten. Wir brauchen sowohl das offene wie das gebundene Modell. Die gebundene Ganztagsschule in rhythmisierter Form mit einer ausgereiften pädagogischen Konzeption, die den Schülerinnen und Schülern Räume für Eigenaktivität und selbstentschiedenes Handeln bereitstellen kann, ist die pädagogisch einfachere und vielleicht auch sinnvollere Form. Deshalb haben alle bedeutsamen Reformschulen dieses Modell gewählt.

Online-Redaktion: Gerade Berlin setzt auf die offene Ganztagsschule.

Ramseger: Die offene Ganztagsschule verfügt über einen besonderen Charme, hat aber auch eine besondere Schwierigkeit. Der Charme liegt in dem von vielen verschiedenen Bildungsträgern gestalteten Nachmittag, wodurch schulergänzende und schulferne Elemente in das Bildungsangebot der Kinder integriert werden. Hier steht nicht immer die Notengebung im Vordergrund, und es sind nicht immer nur Lehrer anwesend. Darüber hinaus kommen mit anderen Berufsgruppen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Jugendhilfe neue Perspektiven in die Schule.

Die Vielfalt dieser Angebote kann für die Schülerinnen und Schüler bereichernd sein, wenn diese Angebote gut mit dem Vormittagsunterricht verzahnt sind. Da hapert es häufig, und es gibt nur wenige Beispiele für gute offene Ganztagsschulen. Deutsche Schulen müssen das erst lernen. Viele Lehrerinnen und Lehrer halten sich mit dem Verweis auf zusätzliche Arbeit und mangelnde Zeit aus dem Nachmittagsangebot heraus. Stattdessen organisiert man additive Betreuungskonstruktionen, die ich für verheerend halte.

Das größte Problem des offenen Modells ist jedoch die unterschiedliche Verweildauer der Schülerinnen und Schüler: Die einen kommen um sechs, die anderen um acht Uhr. Die einen gehen um zwölf, andere um 14 Uhr, wiederum andere um 16 Uhr, eine andere Gruppe bleibt gar noch zwei Stunden länger. Da entsteht schnell ein Verschiebebahnhof - und das ist so ziemlich das Letzte, was wir in der Pädagogik gebrauchen können. Es erschwert auch eine vernünftige Bildungsplanung - der Planungsaufwand erhöht sich bei geringerer Planungssicherheit. Dieses Problem müssen wir auch bei unserem "Berliner Bildungsprogramm für die offene Ganztagsgrundschule" berücksichtigen.

Online-Redaktion: Haben Sie eine Lösung, wie man diesen "Verschiebebahnhof" einschränken kann?

Ramseger: Offene Ganztagsschulen müssen zunächst einmal realisieren, dass sie wirklich den ganzen Tag dauern - auch wenn die Hälfte der Schüler mittags nach Hause geht. Die Lehrerinnen und Lehrer dürfen nicht davon ausgehen, sie hätten gar nichts mit dem Nachmittag zu tun. Sie müssen an dieser Stelle ihr berufliches Selbstverständnis korrigieren und die außerunterrichtlichen Angebote gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Nachmittags sorgfältig planen und abstimmen. Das ist eine fundamentale Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation. Sie müssen darüber hinaus lernen, dass sie regelmäßige Teamsitzungen brauchen, dass die außerschulischen Pädagoginnen und Pädagogen auch am Vormittagsunterricht teilnehmen, um sich wechselseitig kennen zu lernen. Zugleich können sie die Kinder in den verschiedenen Situationen des Unterrichts und in den unterrichtsergänzenden Angeboten erleben. Das setzt eine institutionalisierte Zusammenarbeit voraus, die man nicht mit 100 Personen bewältigen kann. Hier braucht es feste Teams und eine beschränkte Zahl von Anbietern, die mit festen Verträgen an die Schule gekoppelt sind. Die klassische Halbtagsschule gibt es dann nicht mehr.

Online-Redaktion: Manche Ganztagsschulen haben zu Beginn mit einem sehr vielfältigen AG-Angebot zu punkten versucht, das sie inzwischen wieder einschränken, weil der Tag für die Kinder zu hektisch wurde. Jetzt setzen sie auf freies Spiel und Ruhephasen. Dies ruft wiederum die Eltern auf den Plan, die monieren, für das Spielen ihrer Kinder auch noch bezahlen zu müssen. Wie löst man dieses Dilemma?

Ramseger: An dieser Stelle müssen die Eltern umlernen. Das können sie allerdings nur, wenn man sie einbezieht, was in Deutschland in der Regel zu selten und wenn, dann eher auf einer formalen Ebene in den gesetzlichen Mitwirkungsorganen als bei der Gestaltung von Unterricht und Schulleben geschieht. An vielen Schulen sind sie kaum an der Schulentwicklungsarbeit beteiligt, sie haben als Gruppe nur wenig bedeutsame Rechte und werden oft unzureichend informiert. Jetzt reicht es bei dieser pädagogischen Runderneuerung des Systems aber nicht aus, hier einige Stunden dranzuhängen und dort eine Konferenz mit einem Jugendhilfeträger abzuhalten. Man muss auch hier das Ganze in den Blick nehmen und die Eltern von Anfang an in diesen Prozess einbeziehen - nicht nur formal, sondern auch inhaltlich mit einem eigenen Mitwirkungskonzept. Erfahrungen wie die der Wartburgschule zeigen, dass das fabelhaft funktionieren kann.

Online-Redaktion: Die erste Fassung des "Berliner Bildungsprogramms für die offene Ganztagsgrundschule" ist seit Herbst 2006 im Internet abrufbar. Welche Genese hat dieses Projekt?

Ramseger: Mit dem Berliner Schulgesetz von 2004 nahm man als Reaktion auf die PISA-Studie grundlegende Änderungen im Schulsystem vor. Die Horte sind teilweise in die Schulen integriert worden, teilweise haben sie konkrete Kooperationsverträge mit den Schulen abgeschlossen, sodass hier tatsächlich eine institutionalisierte Kooperation von Schule und Jugendhilfe existiert. Dabei zeigte sich, dass es kein gemeinsames Bildungsverständnis gibt. Dieses muss erst gestiftet werden. Berlin hatte bereits 2004 gute Erfahrungen mit einem Bildungsprogramm für die Kindertagesstätten gemacht, das große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fand. Die Senatsverwaltung machte mit diesem Programm deutlich, dass der Elementarbereich kein Aufbewahrplatz für Kinder ist, sondern ein genuiner Bildungsort.

Inzwischen sind alle Berliner Grundschulen Ganztagsschulen, in der Mehrzahl offene Ganztagsschulen. Es fehlt aber noch an einem öffentlich definierten Bildungsverständnis, wie es für den Elementarbereich vorliegt. Es gibt nur Rahmenlehrpläne für die Unterrichtsfächer - aber die Ganztagsschule ist mehr als Unterricht. Nun stellte sich die Frage, welches Bildungsverständnis diesen neuen Einrichtungen zu Grunde gelegt werden soll. Von Seiten des Landes gibt es keine normativen Vorgaben. Für die Ganztagsschulen kann die der Bildungssenator auch nicht einfach erlassen, denn es sind ja auch Träger der freien Jugendarbeit involviert. Die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände und der Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden haben sich deshalb mit der Senatsverwaltung zusammengesetzt, um ein ausformuliertes Bildungsverständnis für den Ganztag anzustoßen. Diese drei Partner haben sich an die Internationale Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie (INA) an der Freien Universität Berlin gewandt. Die INA hatte unter der Leitung von Christa Preissing bereits die Federführung bei der Ausformulierung des Berliner Bildungsprogramms für den Elementarbereich.

Online-Redaktion: Was ist Ihnen inhaltlich wichtig?

Ramseger: Wir gehen von Entwicklungsdynamiken in unserer Gesellschaft aus, auf die wir reagieren müssen: Wir leben in einer Wissensgesellschaft, in einer Einwanderungsgesellschaft und in einer Risikogesellschaft. Wir wissen, dass die Zivilgesellschaft gestärkt werden muss. Diese Basisannahmen verbinden wir mit bestimmten pädagogischen Prinzipien und Grundannahmen - wobei wir von einem erweiterten Aufgaben- und Verantwortungsumfang der offenen Ganztagsgrundschulen ausgehen.

Online-Redaktion: Was sind das für Prinzipien?

Ramseger: Diese Prinzipien schützen die Rechte des einzelnen Kindes. Wir schreiben zum Beispiel von einer Kultur des Miteinanders, die eine Kultur der Kinder werden muss. Die Grundschule kann die Kinder nur dann beim Lernen unterstützen, wenn sie für das Leben der Kinder den ganzen Tag über eine bekömmliche Einrichtung ist. Da ist die Rede vom Recht der Kinder auf den "heutigen Tag". Man kann nicht ständig nur zukunftsorientiert an ihren Kompetenzen basteln, sondern die Schülerinnen und Schüler haben auch ein Recht auf Selbstvergessenheit, auf Rückzug, auf freies Spiel, auf Orte, die nicht permanent von Erwachsenen eingesehen und bewacht werden. Dieses Basisgerüst pädagogischer Prinzipien wird dann in verschiedenen Entwicklungsbereichen konkretisiert. Das Ganze mündet schließlich in einem Katalog von konkreten Entwicklungszielen, in welche Richtung sich Schulen entwickeln sollen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf Raum- und Zeitstrukturen, auf der Kooperation mit Eltern, auf der Kooperation der Pädagoginnen und Pädagogen untereinander und auf der Gestaltung der Entwicklungsprozesse dieser Institutionen.

Online-Redaktion: Wann ist die endgültige Fassung zu erwarten?

Ramseger: Formal läuft das Ganze in einem langen, dialogischen Prozess. Es gibt einen Fachbeirat, der das Autorenteam in vielen Sitzungen bei der Textgestaltung beraten hat. Sämtliche Texte sind immer wieder mit den Vertretern aller maßgeblichen Verbände und der Senatsverwaltung durchgesprochen, korrigiert und erweitert worden. Alle Akteure waren von Anfang an eingebunden. Die Veröffentlichung der vorläufigen Fassung sollte ermöglichen, dass Interessierte über diese nachdenken und uns für Vorschläge kontaktieren können. Alle Berliner Schulen haben die Möglichkeit, an diesem Programm mitzuschreiben. Anfang März 2007 ist im Internet die vorläufige komplette Fassung veröffentlicht worden, zu der am 19. März eine große öffentliche Anhörung in der Freien Universität Berlin stattfinden wird. Dort kann jeder kommen und seine Stimme erheben. Bis zum September werden weitere Öffentlichkeitsveranstaltungen bei den diversen Verbänden und Mitbestimmungsgremien folgen. Durch Korrekturen und Erweiterungen wird dann eine Endfassung entstehen, die im Winter 2007/2008 erscheinen soll.

Online-Redaktion: Es besteht also die begründete Hoffnung, dass Sie nicht im Elfenbeinturm etwas erarbeiten, was die Politik letztlich zwar zur Kenntnis nimmt, aber schnell zu den Akten legt?

Ramseger: Man hat hier mit dem dialogischen Prinzip bewusst eine andere Vorgehensweise gewählt. Wir erfahren schon jetzt eine Resonanz durch uns ständig zugehende Korrekturen und Vorschläge aus der Praxis und von anderen Fachleuten und sind überrascht, wie gut diese Art der Zusammenarbeit funktioniert. Wir sind da ganz hoffnungsvoll.



Autor: Ralf Augsburg
Datum: 13.03.2007
© www.ganztagsschulen.org

http://www.ganztagsschulen.org/7179.php

Kinder an die Macht ! Wissendurst wird