Netzwerk Positionen Aktionen Schülerläden Unterstützer Kontakt
Startseite Positionen Texte

Positionen


Plattform Texte

Impressum

Kinder an die Macht !

Roland Koch als Schulversager

Auch in Hessen sind es die Kinder, die dem Kaiser sagen, dass er nackt ist. In einer Kette von Wahlumfragen geraten Roland Koch und seine Partei ins Hintertreffen. Es ist richtig: Man soll nichts auf Umfragen geben. Schon morgen kann sich das Blatt wieder wenden (es steht noch „Freiheit statt Sozialismus“ ins Haus). Aber Hessens Kinder lassen nicht mit sich spaßen. Hessens Kinder unterlaufen einen Wahlkampf, dessen Drehbuch frei nach Balints Klassiker „Angstlust und Regression“ (jetzt nachlesen bei Klett-Cotta!) geschrieben ist.

Hessens Kinder sind vom zynischen Syndrom der Wahlhelfer nicht infizierbar. Sie machen sich einfach selbst zum Thema, gerade zum Beispiel in Wiesbaden: Elfjährige marschieren mit ihren Augenringen, mit ihren bleischweren Schulranzen und ihren frustrierten Eltern in der Landeshauptstatdt auf, schwenken Transparente mit der Aufschrift „Hessens Schulpolitik fällt durch den Eltern-TÜV“. Der Protest versammelt sich unter der nackten, öden Chiffre „G 8“ - so heißt im Politikerjargon das von neun auf acht Schuljahre zusammengestrichene Gymnasium. Eine ungeheuer schlampig gemachte Schulreform, ein bürokratischer Irrsinn, der dazu führt, dass Unter- und Mittelklässler, Kinder also, mit einer 40- bis 50-Stunden-Woche belastet werden, rechnet man die Hausaufgaben mit ein.

Die gestohlene Kindheit

Die Folgen sind verheerend. Sie lassen sich auf den Nenner bringen: Bürokraten stehlen den Kindern ihre Kindheit. Sperren sie im Alter von elf, zwölf Jahren in ein Trainingscamp für Manager. Gegen alle pädagogische Einsicht. Gegen alle Erfahrungen, die Eltern für ein halbwegs gelingendes Familienleben geltend machen. Alles im Leben der Kinder, im Leben der Eltern dreht sich seit G 8 nur noch um die Schule. Alles Außerschulische fällt der Krake G 8 zum Opfer - Theatergruppe, Musikunterricht, Herumtollen, Herumlesen, Herum-Kind-sein. Kindern wird per Federstrich, per ministerieller Anmaßung die Kindheit abtrainiert. Die Phantasie abtrainiert. Das Träumerische abtrainiert.

Die Pisa-Kreaturen, die die Politik auf diese Weise züchten will, sollen den Standort Hessen verteidigen. In einem Kinderkreuzzug, der die Erschöpften und Zermürbten zwangsrekrutiert, will man die internationale Konkurrenz aus dem Felde schlagen. Wie soll das gelingen? Hier fassen wir die Verselbständigung eines Themas - Pisa - zum Wahn. In diesem Wahn gehen Kinder und ihre Eltern vor die Hunde. Die Eltern müssen nun täglich neben ihrem Beruf als Nachhilfelehrer herhalten, notgedrungen, um zu Hause das zu vertiefen und zu üben, was in der Schule nur noch durchgehechelt wird. Bei der Demo in Wiesbaden ging die Parole um: Eine berufstätige, alleinerziehende Mutter sollte ihre Kinder lieber nicht aufs Gymnasium schicken. Denn woher nähme sie Zeit und Kraft, ihre Kinder allabendlich durch das G-8-Camp zu schleifen?

Die Macht der Kinder unterschätzt

Man hat Kochs Wahlkampf als regressiv kritisiert, weil das Kriminalitäts-Thema - unabhängig vom demagogischen Grad seiner Ausbeutung - immer nur ein Wahlkampfthema der Opposition, nicht der Regierung sein könne. Eine Regierung, die es hochzieht, lenke damit die Aufmerksamkeit nur auf die eigenen politischen Versäumnisse. Das mag so sein, die jüngsten Umfragen widersprechen der These nicht. Aber dann muss Koch sich zusätzlich sagen lassen, die Macht von Hessens Kindern unterschätzt zu haben. Das Schulthema treiben zu lassen, es in seiner Brisanz nicht wahrhaben zu wollen, gleichsam nur auf Nachfrage darauf einzugehen - das verwundert. Im Ohr ist noch Kochs flammender Appell gegen Burka-Trägerinnen auf hessischen Schulhöfen. Es stellte sich dann heraus, dass es keinen einzigen solchen Fall gegeben hat. Sollte das der schulpolitische Vorstoß gewesen sein, auf den ganz Hessen wartet?

Das Kind, das eigene Kind ist für jeden Wähler das kreatürliche Argument. Wenn es eine Angst gibt, welche Wähler nachhaltig mobilisiert, dann ist es diese Angst ums eigene Kind. Sie ist so kreatürlich, dass an ihr alles Ideologische und Rhetorische abprallt. Sie ist so nackt, dass sie Kaiser zum Zittern bringt. Eine Angst, die niemand ungestraft übergeht.

Christian Geyer
FAZ, 19.1.08

Zur Hölle mit der Disziplin Die Ganztagsschule ist ein Januskopf